Die Abenteuer des Wigalois
Wigalois wurde als Sohn des Artusritters Gawein und seiner Frau Florie, der Nichte des Königs von Joram von Wales in Wales geboren. Der kleine Wigalois wurde in alle ritterlichen Künste eingewiesen und erhielt zum Schluss der Ausbildung von seiner Mutter einen Zaubergürtel, der ihn nicht nur unbesiegbar machte, sondern ihm auch zu Weisheit und Tugend verhalf. Sein Tatendrang war nun schier unermesslich. So ritt er in die weite Welt, auf der Suche nach Abenteuern und kam an den Hof des Königs Artus.
Dort traf Ritter Wigalois auf Nereja, eine Dienerin, die von ihrer Herrin Larie, Tochte der Königin Amena und des ermordeten Königs Jorel von Korentin ausgeschickt wurde, um Hilfe zu erbitten.
Nereja erzählte Wigalois folgende Geschichte von ihrem Heimatland Korentin:
Jorel, der König von Korentin, sei vor zehn Jahren von seinem Vasallen, dem Grafen Roaz meuchlings ermordet worden. Man sagte, Roaz habe sich dem Teufel verschrieben. Eines Morgens sei Roaz mit 400 Rittern in die Burg des Königs eingefallen. Er habe den König Jorel und seine Mannen im Schlaf getötet und das ganze Land an sich gerissen, das seither in Düsternis und Elend darbe. Die Königin Amena und ihre dreijährige Tochter Larie hätten entfliehen und sich mit wenigen Getreuen auf die uneinnehmbare Fluchtburg Roimunt am Rande des Reiches retten können, wo sie unbehelligt lebten. Larie sei inzwischen zu einer blühenden Jungfrau herangewachsen.
Das geschehene Unrecht und die Schönheit der Königstochter reizten Wigalois, die Burg Roimunt zu besuchen, um das Land von Roaz zu befreien.
Wigalois erfuhr von Nereja, was ihn erwartete: Viele hätten schon versucht, das Land von Roaz zu befreien und seien nie wieder zurückgekehrt. Man wisse nur, dass Roaz mit den bösen Mächten im Bunde sei und dass allerhand Teufeleien denjenigen erwarteten, der versuche in das von Trauer überzogene Reich einzudringen. Weiterhin sei von einem Fabeltier mit einem schwarz gehörnten Leopardenkopf berichtet worden, auf dem eine goldene Krone prange. Gelegentlich lasse es sich sogar in den Wäldern sehen.
Alle Gefahren konnten den Ritter Wigalois nicht von seinem Vorhaben abbringen. Im Gegenteil, die Boshaftigkeiten bestärkten ihn in seinem Vorhaben, der Sache auf den Grund zu gehen und Gerechtigkeit zu erstreiten.
Also machten sie sich auf den Weg. Nach langem Ritt sahen sie die Burg Roimunt. Feierlich wurde Wigalois von Königin Amena, ihrer Tochter Larie und dem Gesinde begrüßt. Nereja schilderte der Königin die Heldentaten des Wigalois.
Er bekam eine Kemenate zugewiesen und war ein willkommener Gast. Wie üblich versammelte sich der Hof wieder zu einem ausgiebigen Mahl, und Wigalois hörte nun die Königin selbst von aller Not erzählen. Der unheimliche Flammenschein, der sich jeden Abend über den düsteren Wäldern aus Richtung der Burg Korentin am Horizont abzeichnete, verschlimmerte das Unglück der Vertriebenen stets aufs Neue.
Da Larie und Wigalois bald Gefallen aneinander fanden, entbrannte die Leidenschaft des Ritters erst recht, dem bösen Treiben ein Ende zu setzen, und er beschloss, sich unverzüglich auf den Weg ins Abenteuer zu machen.
Nachdem zu Burg Roimunt seine Waffen gerichtet waren, nahm Wigalois am Gottesdienst teil. Der Priester gab ihm den Segen und streifte mit einem Brief über sein Schwert, was gegen allen Zauber gut war. Larie gab Wigalois eine seidene Tasche mit einem aus Wurzeln gebackenen Brot als Wegzehrung, das allen Hunger stillen sollte. Alle wünschten ihm Glück zu seinem Abenteuer. Vorher hatte der Burgtruchsess dem Herrn Wigalois den Weg nach Korentin geschildert. Nur ein schlechter und gefährlicher Weg führe an einem See vorbei, an dessen Seiten hohe Steilwände emporragten. Man gelange auch nur ins verfluchte Land zur Burg von Korentin, wenn man dem Fabeltier folge.
Als Wigalois nun Burg Roimunt verließ und sich durch das unheimliche Dickicht der Wälder arbeitete, sah er das Fabeltier auf einer Lichtung trappen und nahm umgehend seine Verfolgung auf. Mit seiner Hilfe kam er an den großen Steilwänden vorbei.
Ganz in der Nähe des Burgtors von Korentin sah Wigalois die fürchterlichen Geister der gefallenen Ritter turnieren. Wie er sich weiter der Burg näherte, kam er in Gefahr, mit den Geisterrittern in einen ungleichen und aussichtslosen Kampf zu geraten. Schnell wandte sich Wigalois wieder dem Fabeltier zu, welches sich inzwischen auf einem Anger unter einem Blütenbaum niedergelassen hatte. Der Blütenduft erfüllte den Ritter mit Kraft und Mut. Durch den herrlich süßen Duft des Baumes war auch das Tier auf einmal in einen Menschen verwandelt worden. Von Wigalois gefragt, wer er sei, da er zuerst Tier und jetzt ein Mann sei, bekam der Ritter die Antwort: Er sei der gemordete und rechtmäßige König Jorel von Korentin. Nun sei er im Fegefeuer dazu verdammt, als Fabeltier durch das Land zu streifen, um dem bösen Treiben des teuflischen Roaz hilflos zu zuschauen.
Von ihm erfuhr Wigalois auch, dass in der Nähe ein furchtbarer Drache mit Namen Pfetan hause. Bloß durch seinen Gestank habe er viele Ritter getötet. Diese Höllenbrut stehe mit dem bösen Roaz, der auch ein mächtiger und geschickter Streiter sei, im Bunde. Jeder der zu Roaz vordringen wolle, müsse den Lindwurm überwinden.
Da das Fabeltier den edlen Willen und das reine Herz des Ritters Wigalois erkannte, verriet es ihm einige Geheimnisse, die den Sieg über den schrecklichen Drachen einfacher machten. So könne ein duftender Zweig des Blütenbaums den Gestank des Drachen erträglicher machen. Auch stecke in der Burgmauer eine Lanze von solcher Schärfe, dass sie Steine und sogar den Drachen durchdringen könne.
So fuhr Ritter Wigalois mit seinem Abenteuer fort, stattete sich mit den Waffen aus und suchte die Begegnung des Drachen Pfetan.
Der Ritter stärkte sich vor dem Kampf schnell noch mit einem Stücklein Brot aus der Tasche von Larie sowie durch den Geruch des Blütenzweiges. Inzwischen hörte er es im Walde schnauben. Er sah den Wurm Pfetan alles vor sich niedertrampelnd herankommen. Kein Mensch hatte je ein solch gewaltiges Untier gesehen. Von dem Wurm unbemerkt, kam Wigalois an ihn heran. Er durchbohrte ihn mit der heiligen Lanze. Als Pfetan die Lanze in seinem Inneren verspürte, wandte er sich mit ungeheurem Gebrüll dem Ritter zu. Vor Schmerz sich windend, walzte Pfetan alles nieder, erwischte den Ritter mit seinem Schwanz und schleudert ihn in hohem Bogen an das Ufer eines nahen Sees. Dort blieb er bewusstlos liegen, bis er gefunden und in einem nahegelegen Hof von edlen Leuten gesund gepflegt wurde. Seine Erinnerungen kehrten vollends zurück, als er die seidene Tasche mit dem Wurzelbrot der angebeteten Larie auf seinem Lager fand. Frisch gestärkt machte er sich schließlich wieder auf den Weg in die Burg zum bösen Roaz. Das Fabeltier tauchte nicht mehr auf. Diesmal musste er den Weg selber finden.
Wieder im dichten Wald wurde er fast von einer Riesin getötet. Doch das Wiehern seines Pferdes vertrieb die Unholdin, weil sie glaubte, es sei Pfetan, der schon ihren Mann getötet hatte. Sie wusste nicht, dass das Ungeheuer bereits tot war.
Als Wigalois wieder auf dem rechten Weg nach Korentin war, begegnete ihm der Zwerg Karioz, ein Dienstmann von Roaz und auch ein tapferer Ritter. Nach schwerem Kampf besiegte Wigalois den Zwerg. Dieser floh in den Giftnebel und erstarrte dort zu einem mit Pech überzogenen Standbild.
Nun führte der Weg Wigalois über eine lange Brücke, über ein großes und unheimliches Gewässer. Am Ende dieser Brücke sah er ein schreckliches Tor: Ein drehendes Rad mit scharfen Messern, das es zu überwinden galt. Der Ritter sah sich ohne Ausweg und betete zu Gott. Als ihm Jesus erschien, ließen schwarze Nebel das Wasser gefrieren und das Drehen des Messerrades kam zum Stillstand. Nun konnte er dieses Hindernis überwinden.
Immer wieder von seinem Ehrgeiz angetrieben, bahnte er sich den Weg durch die Wildnis, bis sich ihm wieder ein Ungeheuer in den Weg stellte, der Zentaur Marrien, der Wigalois mit seinem Feuer vernichten wollte. Nach einem heftigen Kampf konnte Wigalois ihn schließlich erschlagen. Das aus vielen Wunden des Ungeheuers fließende Blut löschte das Feuer um den Helden herum. Andernfalls wäre er ohne jede Chance verbrannt worden.
Sein Pferd hatte er durch dieses Feuer verloren. So musste er zu Fuß weiter, bis er endlich zur Burg gelangte. Diese wurde von zwei Rittern bewacht, die es auch zu überwinden galt. Einer wurde im Zweikampf getötet. Der andere wurde besiegt, aber am Leben gelassen, weil ihm dieser den Zugang zur Burg verriet. An einem Versteck in der Mauer nahe des mächtigen Burgtores musste ein eiserner Ring gedreht werden, um das Tor zu öffnen. Sofort betrat Wigalois die Burg und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, als er die vielen geraubten Schätze sah. Im gleichen Moment stellte sich ihm der üble Ritter Roaz entgegen und zog sein mächtiges Schwert.
Ein schrecklicher Kampf entbrannte.
Der Streit währte die ganze Nacht bis nur ein Sieger übrig blieb. Der andere lag in seinem Blut auf dem kalten Stein. Roaz war tot.
Die Freude war riesig im ganzen Land, als sich die Nachricht verbreitete, dass der Ritter Wigalois den teuflischen Ritter Roaz erschlagen hatte.
Die verstoßene Königin Amena konnte wieder mit ihrem Hofstaat in die Burg Korentin ziehen. Wigalois bekam Larie zur Frau.
Beide regierten nun als König und Königin das Land, das sie wieder zur Blüte brachten.
Eine sehr schöne und spannende Version der Geschichte des Wigalois, die von Ritter Wirnt von Gravenberc stammt, kann man im Comic-Album „Die phantastischen Abenteuer des Glücksritters Wigalois“ von Manfred Schwab und Isidre Monés erfahren. Sie ist in der Gräfenberger Buchhandlung, im Rathaus der Stadt Gräfenberg, im Kulturamt des Landkreises Forchheim erhältlich und kann auch über Internetbuchhandlungen bestellt werden.